
Starke Gefühle begleiten
On 11.05.2020 by annaKinder haben starke Gefühle. Während wir meistens keine Probleme mit den positiven Gefühlen haben, sind die negativen oft schwerer auszuhalten. Im Artikel beschreibe ich meine Vorgehensweise darüber, wie ich mit starken Gefühlen umgehe. Ich beschreibe die „Spiegeltechnik“ und warum es manchmal besser ist, gar keine Lösung zu haben, sondern einfach nur da zu sein.
Ich glaube, es würde in unserer Gesellschaft sehr vieles verändern, wenn wir in der Lage wären, anzuerkennen, dass alle Gefühle in Ordnung sind. So viel Verletzung geschieht, weil Gefühle nicht anerkannt werden. Das ist gar nicht mal unbedingt böse Absicht, sondern uns wurde – Jungen meistens noch mehr als Mädchen – in der Kindheit oft beigebracht, dass unsere Gefühle falsch wären. Dass wir falsch sind. Und es jetzt bei unseren Kindern anders zu machen, ihnen aber gleichzeitig Halt und Führung zu geben, ist gar nicht so leicht.
Eins meiner Kinder hat sehr starke Wutausbrüche, lässt sich schwer beruhigen und tritt und schlägt um sich. Nähe ist falsch, weggehen fühlt sich falsch an, weh tun lassen möchte ich mir nicht (und muss ich auch nicht!). Es ist schwierig, sehr starke Gefühle zu begleiten, weil wir es meistens selbst nicht so erlebt haben und irgendwo tief in uns drin eine Stimme flüstert „Jetzt ist aber mal gut!“. Die Gefühle unserer Kinder triggern uns. Bevor wir richtig mit unseren Kindern umgehen können (und „richtig“ heißt nicht, dass es den einen Weg gibt, der sieht überall etwas anders aus), sollten wir uns um unsere eigenen Gefühle kümmern. Wie oft sind dann doch die Sprüche aus der eigenen Kindheit aus unserem Mund gekommen? Wie oft sind wir laut geworden und haben uns hinterher selbst dafür fertig gemacht? Ich glaube, dass wir genau hier ansetzen sollten. Bei der Selbsteinfühlung. Denn die Wut ist ein Hinweis darauf, wie es uns gerade geht und was wir noch zu bearbeiten haben.
Ein wütendes Kind macht uns nicht automatisch selbst wütend. Ein wütendes Kind ist erst mal ein wütendes Kind, das ist weder positiv, noch negativ. Unsere eigenen Empfindungen sind es erst, die die Situation bewerten. Ich selbst bin eine Person, die eigentlich viel zu lösungsorientiert ist. Mein Kind wirft sich auf den Boden und schreit, ich frage mich, wie ich helfen kann, was ich jetzt richtig machen muss. Dabei haben wir Zeit. Das Gefühl hat seine Berechtigung. Gerade wenn der Wutanfall in der Öffentlichkeit stattfindet, nimmt unser Gehirn es als Notlage wahr, wir fangen an uns zu schämen. Aber es ist kein Notfall. Es ist nur ein wütendes Kind und das wird vorbei gehen. Und deswegen versuche ich erst mal, einen Schritt zurück zu treten und durchzuatmen und die Situation ganz wahrzunehmen, bevor ich irgendwie reagiere. Ich reguliere zuerst mich selbst, weil es meinem Kind nicht hilft, wenn ich seiner Wut mit Wut begegne.
Warum wir wütende Kinder nicht allein lassen sollten
Jeder Mensch erlebt verschiedene Gefühle. All diese Gefühle haben ihren Sinn. Wut mobilisiert Kräfte, die wir brauchen, um für uns selbst oder für andere einzustehen. Trauer hilft uns, eine Situation zu verarbeiten (ich habe mal von Messungen gelesen, die zeigten, dass in Tränen Cortisol enthalten ist, was bedeuten würde, dass der Stress sozusagen „herausgeschwemmt“ würde, ich bin aber nicht sicher, ob das so stimmt und habe es nicht verifizieren können).
Gerade bei einem Wutanfall in der Autonomiephase passiert eine Art Kurzschluss im Gehirn. Der „denkende“ Teil des Gehirns hat keine Verbindung mehr zum „emotionalen“ Teil. Dass unsere Kinder nicht „vernünftig“ sein und sich beherrschen können, ist ein rein biologischer Vorgang. Sie wollen uns damit nicht ärgern, das kann ich nicht oft genug betonen. Worte kommen im Gehirn gar nicht mehr an. Wenn wir die Kinder jetzt allein lassen, nehmen andere Gefühle Überhand. Und zwar eine große Angst vor dem Verlassenwerden, eine Urangst. Ohne uns sind unsere Kinder verloren. Deswegen kann diese Urangst dazu führen, dass unser Kind doch wieder aufhört zu schreien, sich scheinbar beruhigt und wieder kooperativ ist, letztendlich hat es aber nur gelernt, dass starke Gefühle nicht in Ordnung sind und dann noch etwas viel schlimmeres passieren wird.
Es gibt Kinder, die beim Wutanfall „Geh weg!“ schreien, auch das meiner Kinder, von dem ich oben geschrieben habe. Diese Aussage kommt aus einer großen Stresssituation, in der das Kind mit seinen Gefühlen nicht umzugehen weiß, es geht nicht darum, dass wir wirklich weggehen sollen. Es ist das einzige, was den Kindern in diesem Moment einfällt. Gleichzeitig ist es wichtig, die Worte nicht einfach zu übergehen. Ich habe mich meist etwas zurückgezogen, so dass ich noch in Sichtweite war, und gesagt „Okay. Ich gehe hier hin. Wenn du mich brauchst, bin ich da.“. Denn irgendwann kippt die Situation wieder und das Kind will sich ankuscheln und genau in dem Moment ist es wichtig, da zu sein.
Wir sind aber eben auch Menschen, die nicht immer richtig reagieren können. Wenn alles zu viel wird und du merkst, dass eine starke Wut in dir aufsteigt, die du nicht mehr kontrollieren kannst, dann bring dich in Sicherheit. Bring nicht dein Kind weg, aber geh selbst kurz raus. Sicher ist das nicht optimal, aber das Wichtigste ist, dass du ruhig mit deinem Kind umgehen kannst und ihm helfen kannst, die eigene Wut zu verarbeiten. Wenn ihr beide wütend seid oder du deine Wut nicht mehr kontrollieren kannst, ist nichts gewonnen. Hör auf, dir zu wünschen, immer richtig zu reagieren. Wenn du eine so große Wut auf dein Kind verspürst, dann ist das nicht deine Schuld, sondern liegt an dem, was du erleben musstest. Und natürlich sind wir selbst für unsere Handlungen verantwortlich und doch haben es manche einfach schwerer als andere. Wir alle werden unseren Kindern irgendwann mal schaden, wir alle machen auch mal große Fehler. Aber Kinder sind stabiler als man denken könnte und eine Beziehung hält es aus, wenn jemand auch mal so richtig ungünstig reagiert.
Allein gelassen fühlen sich Kinder auch bei Sätzen wie „Jetzt ist aber mal gut!“ oder „Zick nicht so herum!“. Sie werden nicht ernst genommen, sie stören, sie merken, dass sie mit ihren Gefühlen nicht gesehen und nicht gewünscht sind. Auf Dauer kann das das Selbstbewusstsein sehr stark schädigen und dazu führen, dass das Kind sich verstellt und auch als Erwachsene*r Schwierigkeiten haben wird, die wahren Gefühle zu zeigen.
Was, wenn das Kind einem weh tut
Anzuerkennen, dass alle Gefühle in Ordnung sind, bedeutet nicht, dass wir uns alles gefallen lassen müssen! Es bedeutet auch nicht, dass wir zu allem ja sagen müssen. Wenn ein Kind mir weh tut, sage ich laut Stopp und bringe mich selbst in Sicherheit. Das heißt, ich stehe auf, ich gehe einen Schritt zurück, ich wehre die Hände oder Füße ab. Notfalls halte ich sie auch kurz fest. Dabei spiegle ich die Gefühle in kurzen, klaren Worten. Denn die Gefühle sind in Ordnung! Es ist aber nicht in Ordnung, jemandem weh zu tun. Und genau das können wir unseren Kindern so sagen. „Stopp! Das tut mir weh! Du bist ja echt sauer! Boah, bist du wütend! Das verstehe ich, wütend sein ist okay! Aber du tust mir weh. Das will ich nicht.“ Die Stimmlage ist dabei ziemlich wichtig, wenn wir sauer sind, dürfen wir der Stimme auch Nachdruck geben. Wir müssen nicht schreien, aber durchaus deutlich sprechen.
Manche Kinder nehmen Alternativen wie Kissen, in die sie schlagen können, gut an. Oft steckt in unseren Kindern eine Energie, die raus will und sie müssen noch lernen, sie in einer Art zu äußern, die niemand anderem weh tut. „Hier, zeig mir mit dem Kissen, wie sauer du bist!“
Gefühle spiegeln
Wie funktioniert nun das mit dem Gefühle spiegeln? Das hat viel mit Einfühlungsvermögen zu tun. Wir versuchen nachzuspüren, warum das Kind traurig oder wütend ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir ins Blaue hinein raten und zehn unterschiedliche Gründe ausprobieren. Das Spiegeln funktioniert oft am besten kurz vor dem Wutanfall und kann ihn tatsächlich sogar verhindern, weil das Kind sich gehört und verstanden fühlt. Machmal klappt das aber auch nicht.
Wenn das Kind direkt äußert, was es will, paraphrasiere ich. „Du willst die blaue Tasse! Du willst sie haben! Haben sagst du!“, und zwar durchaus mit Gefühl dahinter. Ich versuche, mitzufühlen, denn auch wenn es uns vorkommt wie eine Kleinigkeit, so ist doch diese blaue Tasse für unser Kind wirklich wichtig. Das Kind will sich verstanden fühlen, und ob es das tut, merken wir meist sehr deutlich an einem klaren „Jaaa!“. Sobald das Kind wieder etwas ruhiger ist, können wir Lösungen anbieten. „Die blaue Tasse ist im Geschirrspüler. Willst du die grüne haben?“. Entweder ist es für das Kind dann okay oder das Geschrei geht wieder los. Wenn eine „Kleinigkeit“ unser Kind so sehr aus dem Konzept bringt, steht aber meistens mehr dahinter und unsere Aufgabe als Eltern ist es, herauszufinden, was das ist. „Du willst die blaue Tasse! Boah, das ist so blöd! Die Tasse ist weg! Du bist so sauer/enttäuscht! Wie ärgerlich!“ Wie gesagt, wir müssen nicht wild Gefühle ausprobieren, aber das Spiegeln hilft auch, den Kindern einen Gefühlswortschatz nahe zu bringen.
Und dann warten wir. Sind einfach nur da. Bieten eine Umarmung an. Manchmal können wir eben nicht mehr tun und das ist total in Ordnung. Wir müssen die Welt nicht immer in Ordnung bringen für unsere Kinder, wir müssen nur da sein, um ihre Gefühle als Reaktionen auf all das Unfaire in der Welt aufzufangen. Und wenn sich das Kind dann wieder beruhigt hat, finden wir zusammen eine Lösung. Meistens hat das Kind dann aber tatsächlich auch ganz vergessen, worum es eigentlich ging, denn bei den starken Wutausbrüchen geht es eben meistens um eine Spannung, die das Kind aufgebaut hatte und loswerden musste.
Kürzlich hatte ich eine Situation mit meiner Tochter, die gerade sehr eifersüchtig auf das Baby reagiert. Wir waren allein unterwegs und hatten noch ein bisschen Strecke vor uns und sie wollte nicht mehr laufen, aber sich auch nicht auf den Roller stellen, damit ich sie schieben konnte. Tragen wollte ich sie auch nicht, weil sie mir mittlerweile einfach zu schwer geworden ist. Wie gesagt, ich bin oft zu lösungsorientiert und versuche dann gleich, Bindungsspiele anzufangen oder ihr verschiedene Möglichkeiten vorzuschlagen. In diesem Fall hatte ich aber die Ahnung, dass es eben gar nicht genau darum ging, dass sie getragen werden wollte.
Erst versuchte ich zu spiegeln. „Du willst nicht laufen! Du bist müde!“. Sie weinte weiter: „Du sollst mich tragen!“. Ich versuchte zu spiegeln: „Du willst, dass ich dich trage!“ Das war allerdings gar nicht direkt, was sie wollte, beziehungsweise konnten wir so zu keiner Lösung kommen, denn ich wiederholte ja einfach nur, was sie wollte. Schließlich hockte ich mich zu ihr auf den Boden.
„Dein Bruder wird immer getragen, hm?“
Sie hörte auf zu weinen und schaute mich an. „Ja!“
„Das ist echt unfair! Er wird immer getragen und du nicht.“
„JA!“
Wir schauten uns einfach an. Schließlich umarmte sie mich ganz fest. Ich flüsterte ihr ins Ohr, wie lieb ich sie hatte. Eine Weile lang saßen wir so auf dem Boden und umarmten uns. „Schau mal, ich habe deinen Bruder extra bei Papa gelassen, damit wir zwei jetzt ins Familiencafé können. Da haben wir Zeit ganz für uns. Ohne ihn.“, versuchte ich.
Und dann stand sie auf und lief weiter, einfach so, als wäre nichts geschehen. Ich musste sie nicht tragen und nicht auf dem Roller schieben. Sie hatte nämlich bekommen, was sie brauchte. Dass ihr Brüderchen für immer da bleiben würde, konnte (und wollte) ich nicht ändern, aber ich konnte ihren Schmerz akzeptieren. Ich konnte ihr zuhören und ihr zeigen, dass es okay war, deswegen auch mal ziemlich traurig zu sein.
Wutanfälle in der „Trotzphase“
Die „Trotzanfall“ Wutausbrüche kommen häufig dann, wenn sich das Kind etwas in den Kopf gesetzt hat, das aber nicht bekommt. Viele Wutanfälle kann man gleich von vornherein vermeiden, indem man ganz klar ist. Gehen wir also am Eisladen vorbei und das Kind fragt „Kann ich ein Eis haben?“ und wir sagen einfach nur ganz klar und freundlich „Nein“ und gehen weiter, fragen Kinder gar nicht unbedingt weiter nach. Sind wir aber selbst unsicher – und das ist okay, es ist ja auch nur Eis -, spüren Kinder das. Und Kinder wollen uns erleben, sie wollen authentische Antworten. Oft wird das als Argument geliefert, wenn dafür plädiert wird, dass Kinder unbedingt „Konsequenz“ brauchen. Kinder brauchen aber vielmehr Konsistenz. Die Regeln verändern sich. Ansichten und Situationen verändern sich. Einfach weil sich die Bedürfnisse verändern. Manchmal ist es total okay, doch noch mal eben ein Eis zu essen, obwohl es bald Abendessen gibt, einfach weil der Tag so lang war und es heiß ist und es einen ziemlich anstrengenden Streit am Nachmittag gab. Sich dann noch mal gemütlich auf ein Eis zusammen zu setzen, kann ein sehr schönes Bindungserlebnis sein. Dann Nein zu sagen, weil es sonst kein Eis so kurz vor dem Abendessen gibt, ist zwar auch absolut okay, genauso okay ist es aber, das Eis eben doch zu essen.
Wenn uns aber von vornherein klar ist, dass wir kein Eis kaufen wollen, dann ist eine innere Klarheit sehr wichtig. Wie erwähnt, oft fragen Kinder dann gar nicht noch mal nach. Tun sie es doch, hat das meistens einen Grund. Natürlich, Eis schmeckt einfach gut, man kann Eis auch einfach deswegen wollen. Aber Zucker verleiht dem Körper auch für kurze Zeit viel Energie. Gerade wenn am Nachmittag die Kooperationsbereitschaft aufgebraucht ist, kann der Wunsch nach Eis auch einfach zeigen, dass das Kind müde und erschöpft vom Tag ist. Dem können wir zum Beispiel vorbeugen, indem wir zum Beispiel einen Fruchtriegel oder ein paar Weintrauben dabei haben oder indem wir das Kind nach Hause tragen und es nicht noch den letzten Funken Selbstbeherrschung für den Weg aufwenden muss.
Meine persönliche Regel ist: Nach (ungefähr) 17 Uhr diskutiere ich nicht mehr. Dann sind die Kinder einfach zu müde, um noch auf meine Argumente eingehen zu können, und ich bin zu müde, um mir irgendwelche Kooperationsspiele aus den Fingern zu saugen. Gehen wir so spät abends noch einkaufen, schaffe ich es entweder, die Kinder vom Süßigkeitenregal abzulenken und schnell genug vorbei zu gehen oder gibt es halt eine Kleinigkeit, die ich irgendwie vertreten kann. Ich erwarte nicht, dass ich kurz vor dem Abendessen noch mit hungrigen und müden Kindern einkaufen kann, ohne dass es um irgendwas ein Drama gibt. Und zwar nicht, weil die Kinder das ausnutzen würden oder mich beschämen wollen oder frech sind, sondern einfach, weil sie nicht mehr in der Lage sind, sich zusammen zu reißen. Und zwar auch dann, wenn der Tag ansonsten wirklich schön und harmonisch war. Soziale Interaktion ist immer anstrengend, Kind sein ist anstrengend.
Entscheide ich trotzdem, dass ich das Eis/Spielzeug/… eben nicht kaufen will, muss ich auch die Gefühle dabei aushalten. Ich spiegele also wieder: „Du willst so gern das Eis haben! Du bist so enttäuscht! Das Eis wolltest du!“. Ich muss dann auch gar nicht nachgeben, denn es geht nicht um das Eis, es geht um Selbstwirksamkeit und darum, dass das Kind einen festen Plan im Kopf hatte und ich den zerstöre. Das ist manchmal so! Und es ist absolut okay, dann enttäuscht und sauer zu sein. Wenn ich merke, dass sich das Kind nicht beruhigen kann, nehme ich es meist auf den Arm und trage es an einen sicheren Ort. Natürlich ist auch das übergriffig, aber ein Ortswechsel hilft oft Kindern, um aus einer festgefahrenen Situation heraus zu finden und sich zu beruhigen.
Wutanfall in der Öffentlichkeit
Kinder haben ihre Wutanfälle oft genau dort, wo es uns so richtig peinlich ist. Vor allem deswegen, weil wir befürchten, die anderen könnten glauben, wir hätten unser Kind nicht im Griff. Scham ist ein sehr starkes Gefühl, das eigentlich auch sehr wichtig ist. Er soll eigentlich dabei helfen, den Gruppenzusammenhalt zu stärken. Wir sollen uns schämen, wenn wir etwas tun, das der Gruppe schadet. Allerdings ist Scham ein Gefühl, das schwer differenzieren kann. Wenn ein Kind in der Öffentlichkeit einen Wutausbruch hat, ist das nichts, wofür man sich schämen muss, denn das ist einfach absolut normal. Leider wird es gesellschaftlich meist noch nicht anerkannt, wie wichtig es ist, Gefühle zu zeigen.
Die Scham kommt jedenfalls von uns und wir müssen lernen, sie zu kontrollieren oder zu ignorieren, um ganz für unser Kind da sein zu können. Und ja, auch andere Menschen müssen aushalten können, dass Kinder nicht immer nur lieb und brav sind. Allerdings denke ich persönlich – und ich glaube, dass da jede*r eine eigene Grenze ziehen muss – dass wir ab einem gewissen Punkt eben doch schauen müssen, dass wir niemanden zu lange belästigen, wenn es denn möglich ist. Hört der Wutanfall nicht auf, nehme ich mein Kind auf den Arm und gehe raus. Dabei spiegle ich „Du bist so wütend! Wir gehen jetzt erst mal raus und suchen einen ruhigen Ort.“
Optimal wäre es, wenn das Kind von allen Seiten Verständnis bekommen würde. Wenn die Eltern Verständnis bekommen würden. Wenn es einfach okay wäre, dass ein Kind eben auch mal schreit. Leider ist es das nicht, so schade das ist. Aber die Menschen, für die so ein Gefühlsausbruch nicht in Ordnung sind, wurden eben selbst so erzogen und können in dem Moment nicht aus ihrer Haut raus. Da finde ich persönlich es respektvoll, ab einem bestimmten Punkt eben selbst die Situation zu verlassen.
Medikamente
Beim Thema Medikamente geben haben viele Eltern Schwierigkeiten. Die meisten Medikamente sind immerhin schon zuckersüß gemacht, aber es gibt auch solche, die einfach unangenehm sind. Kinder merken auch gut, dass es sich um etwas besonderes handelt und weigern sich zu probieren. Manchmal lassen sich Medikamente aber nicht vermeiden.
Wir versuchen es zuerst mit kleinen Spielen (siehe Bindungsspiele), zeigen selbst, dass wir den Löffel nehmen (natürlich nicht mit dem Medikament), meistens hilft es auch, das Kind erst mal ganz ohne Druck an das Medikament heran zu führen, es also mit dem Inhalator spielen zu lassen oder an einer Puppe zu probieren.
Leider muss es manchmal trotzdem sein, dass das Kind das Medikament bekommt und bisher hat nichts geholfen. Und ja, wenn es wirklich sein muss, dann muss man Kindern Medikamente auch gegen ihren Willen geben, so furchtbar das ist. Wir würden sie ja auch gegen ihren Willen von der Straße wegtragen, wenn sie darauf laufen. Was wir da anwenden, ist beschützende Gewalt, die man zwar auch nicht schönreden kann, aber die eben leider manchmal notwendig ist.
Ich finde es wichtig, so etwas wie Spritzen oder Medikamente nicht kleinzureden („Tut gar nicht weh!“), sondern realistisch anzukündigen („Das tut kurz weh.“/“Das schmeckt nicht so gut, wir machen Zucker rein. Was willst du danach schnell hinterher trinken?“). Es ist eben unangenehm. Aber das ist nur ein kurzer Moment und danach machen wir es uns so schön wie möglich. Unser Kinderarzt gibt den Kindern immer Lollis, ich fand das erst furchtbar, aber die Kinder lieben es und es gibt sie bedingungslos, also egal ob sie geweint haben oder nicht. Für eklige Medikamente kaufen wir auch oft einen Saft, den die Kinder sonst kaum bekommen, um den Geschmack wegzuspülen. Das klappt bei den großen gut – beim Kleinen nicht. Er ist noch zu klein, um das zu verstehen.
Ich vermeide Äußerungen wie „Ich mache das nur, weil ich dich liebe.“, weil das Kinder in ein sogenanntes „Double Bind“ hinein bringt. Sie erleben etwa ganz anderes als das, was sie hören und lernen im schlimmsten Fall, dass sie ihren Eltern nicht trauen können oder Liebe bedeutet, übergriffig zu handeln. Ich habe mir von Kathy Weber das „Bedauern“ abgeschaut. Denn wenn wir uns Entschuldigen, zeigen wir damit ja, dass wir das eigentlich nicht so gewollt haben, was ja durchaus stimmt, aber wir wollen eben doch, dass die Kinder die Medizin bekommen. „Das war echt eklig, oder? Puh! Ich bedaure es sehr, dass die Medizin so eklig ist!“ oder „Uh, das war blöd, hm?“ Wir bauschen die Situation auch nicht groß auf, bearbeiten sie aber hinterher manchmal noch in einem Bindungsspiel, zum Beispiel mit kleinen Figuren oder Kuscheltieren, die Medizin nehmen müssen. Wir achten auch darauf, hinterher etwas besonders schönes zu machen, zum Beispiel kuscheln und vorlesen.
Zusammenfassung
Wir müssen die Situation nicht für unser Kind lösen, wir müssen es nur verstehen. Das zeigen wir mit der „Spiegeltechnik“, die (meines Empfindens nach) sich an der gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg anlehnt. Die Gefühle auszuhalten bedeutet vor allem, zu warten und da zu sein, bis sie wieder aufhören. Manchmal ist es sinnvoll, mit dem Kind den Ort zu wechseln, wenn es aus dem Gefühl nicht herauskommt. Wir müssen nicht immer nachgeben und unsere eigenen Grenzen überschreiten lassen, wir müssen uns nicht weh tun lassen. Es ist aber sehr wichtig, dem Kind zu zeigen, dass es nicht allein ist und dass die Gefühle in Ordnung sind.
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