
Was, wenn ich nicht immer bedürfnisorientiert bin?
On 29.04.2020 by annaMontagsthema: Ich würde gern bedürfnisorientiert leben, aber ich schaffe es nicht immer. Manchmal verfalle ich in alte Muster. Schadet das den Kindern?
Jeden Montag könnt ihr euch ein Storythema für die Steady-Community wünschen. Da die Storys aber nach 24 Stunden wieder verschwinden und aus irgendeinem Grund nicht archiviert werden, werde ich sie hier auch noch mal kurz niederschreiben. Diese Texte sind dann nur für die Steady-Mitglieder mit Community-Mitgliedschaft sichtbar. So habt ihr hoffentlich noch mal etwas Mehrwert, auch wenn ihr die Story verpasst :).
Dieses Mal wurde das Thema gewünscht: Was ist, wenn ich es nicht immer schaffe, bedürfnisorientiert mit den Kindern umzugehen? Schadet ihnen das?
Ich fand die Frage persönlich auch spannend, weil ich gerade von einer Psychologin gelesen hatte, die erzählte, dass 50% ihrer Patient*innen aus behüteten Elternhäusern kämen. Beim ersten Widerstand, bei den ersten Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, den ersten etwas größeren Herausforderungen würden diese zusammenbrechen mit Burnout-Symptomen.
Darüber musste ich lange nachdenken, weil ich mich auch manchmal frage, ob meine Kinder nicht eigentlich zu privilegiert sind. Es geht ihnen wirklich ziemlich gut. Und auch wenn ich absolut nichts davon halte, Kinder „fürs Leben abzuhärten“, fragte ich mich schon, ob sie auf eigenen Beinen stehen können werden.
Was ist Resilienz und wie entsteht sie?
Um Schwierigkeiten aushalten zu können, braucht es Resilienz. Das ist ja ein Thema, mit dem ich mich seit einer ganzen Weile beschäftige. Und vereinfacht lässt sich sagen: Wer erwarten kann, dass auf die eigenen Bedürfnisse reagiert wird, dass ihm geholfen wird bei Stress, der entwickelt von Anfang an ein gut funktionierendes Stresssystem, das weder über-, noch unterreagiert. Aber dass Stress auch mal da ist, ist trotzdem etwas Natürliches und eben auch Wichtiges. Das System muss schließlich auch lernen und sich anpassen.
Das heißt: ein Kind, das weint, weil sein Spielzeug kaputt gegangen ist, erlebt Stress. Wir würden diesen Stress wegnehmen, wenn wir einfach ein neues Spielzeug kaufen. Oder wir können das Kind in seiner Trauer begleiten und ihm heraus helfen. Ob es dann hinterher ein neues Spielzeug gibt oder wir zusammen versuchen, das Spielzeug zu reparieren oder ob das Spielzeug eben einfach kaputt ist und vielleicht feierlich entsorgt wird, macht letztendlich für das Stresssystem dann keinen großen Unterschied mehr, weil es dafür mehr darauf ankommt, wie auf den ursprünglichen Stress, die Trauer, eingegangen wurde und sie gemeinsam überwunden wurde. Das Kind lernt: Das ist traurig, so fühlt sich Trauer an, ich kann Trauer überwinden. Erst co-reguliert, später dann auch allein.
Wie wir mit Situationen, in denen wir nicht bedürfnisorientiert handeln, umgehen können
Und ich glaube, dass das tatsächlich recht ähnlich ist, wenn wir mal total überreagieren, gestresst sind, nicht gut auf das Kind eingehen oder auf Erziehungsmethoden zurückgreifen, die wir eigentlich überwinden wollten. Das passiert einfach. Selbstverständlich auch mir. Und natürlich ist das erst mal nicht so schön für das Kind. Aber es fühlt sich grundsätzlich trotzdem geliebt, geborgen, gut aufgehoben und verstanden. Eine starke Bindung macht man nicht so schnell kaputt. Und wenn diese ungünstigen Reaktionen von einer Person kommen, deren Liebe man sich grundsätzlich sicher sein kann, dann glaube ich, dass das eine großartige Situation zum Lernen sein kann. Denn wir haben die große Chance, uns bei unseren Kindern zu entschuldigen, Verantwortung zu übernehmen und zu erklären, warum wir so reagiert haben (ohne die Schuld auf das Kind aufzuladen). In ruhigem Tonfall, bedauernd, aber nicht selbstbemitleidend.
„Weißt du, vorhin habe ich ziemlich gemein reagiert, oder? Das tut mir Leid. Ich war sehr gestresst, weil ich noch unbedingt was für die Arbeit fertig bekommen musste. Ich war mit dem Kopf ganz woanders. Aber das ist nicht deine Schuld. Ich atme jetzt ganz tief durch und komme mit dem Kopf wieder zu dir zurück, ja? Und dann versuchen wir es noch mal.“
Und dann können wir uns selbst verzeihen. Denn unsere Kinder, die verzeihen uns. Jedes Mal. Wahrscheinlich auch zu oft, deswegen sollten wir mit diesem Geschenk und ihrem Vertrauen achtsam umgehen.
Kurze Anmerkung: Kathy Weber, die GfK-Kurse für Eltern macht, würde statt „Das tut mir Leid“ sagen „Ich bedauere das sehr“, weil sie findet, dass es in der Situation keine richtige Schuldzuweisungen geben kann. Ich sehe das etwas anders, finde ihren Ansatz aber spannend und wollte ihn deswegen kurz erwähnt haben.
Was Kinder aus unangenehmen Situationen mit ihren Eltern lernen können
Das macht die Situation nicht wieder ungeschehen, aber ich glaube, dass genau das eben auch einfach wichtig ist. Weil unsere Kinder daraus zwei ganz wichtige Dinge lernen:
1. Eltern sind nicht unfehlbar. Niemand ist unfehlbar. Und das ist okay. Und auch sie selbst müssen nicht unfehlbar sein.
2. Manchmal reagieren Menschen unangenehm, bedenken einen nicht mit, sind nur auf sich bedacht oder gestresst. Das passiert und das hat nichts mit einem selbst zu tun, sondern viel mehr mit der Person selbst.
Ich glaube, dass es sogar unheimlich wichtig ist, dass unsere Kinder diese Botschaften von uns lernen. Und zwar auf eine authentische Weise. Wir sind eben manchmal gestresst oder unausgelastet oder hören nur halb zu oder haben keine Energie mehr. Aber wir reagieren eben nicht absichtlich so, weil wir meinen, dass Kinder „da jetzt mal durch müssen“ oder dass sie „das lernen müssen“, weil das Leben ja kein Wunschkonzert sei. Durch bewusstes Strafen lernen unsere Kinder eigentlich nur, dass sie sich vor uns verstecken müssen. Sie verlieren auf Dauer ihr Vertrauen. Durch unsere kleinen Fehler erfahren sie ungünstige Situationen, aber können gestärkt daraus hervorgehen, wenn wir sie durch unseren Prozess mitnehmen.
Kurzer Disclaimer: Eine Entschuldigung zählt nur, wenn wir auch wirklich Verantwortung übernehmen und versuchen, etwas zu ändern. Wer regelmäßig seine Kinder massiv anschreit oder schlägt, braucht Hilfe. Da reicht es nicht, sich einen netten Satz zurecht zu legen. Wir können Fehler auch wiederholen, aber eine Entschuldigung ist keine Absolution, die alles ungeschehen macht. Denn Fehler, die nicht aufgearbeitet werden, schaden unseren Kindern tatsächlich. Unvorhergesehenheit und extrem (!) unberechenbare und willkürliche Eltern verunsichern sie und sie passen sich sehr stark an, um sich selbst zu schützen. Da geht es allerdings z.B. um Eltern mit bipolarer Störung oder Depressionen, die wie gesagt defintiv Unterstützung in ihrer Erziehungsarbeit, aber auch grundsätzlich mit ihrer Krankheit brauchen. Unsere normalen kleinen oder auch mal größeren Fehler im Alltag sind auf einem anderen Level.
Wofür Kinder Resilienz brauchen
Im Leben werden unsere Kinder immer mal wieder auf Menschen treffen, die ihnen nicht gut gesonnen sind, die nicht auf sie eingehen, unfreundlich oder abweisend sind. Sie werden vielleicht auf cholerische Chef*innen oder intrigante Kolleg*innen treffen, die ihnen fiese Dinge entgegenwerfen. Wir können das alles nicht abwenden. Aber zum einen können wir unsere Kinder durch eine größtenteils liebevolle, achtsame Elternschaft stärken. Und zum anderen lernen sie durch unsere Fehler eben auch, dass dieses Verhalten mehr mit den anderen Menschen als ihnen selbst zu tun hat. Sie lernen Empathie, aber gleichzeitig auch, sich abzugrenzen.
Ich finde es also gar nicht wichtig, immer bedürfnisorientiert, achtsam, liebevoll zu sein. Sondern wir können uns bemühen und genau hinsehen und an uns arbeiten und Verantwortung übernehmen. Und wenn wir ungünstig reagieren, können wir die Hintergründe erklären (wie gesagt, ohne dabei dem Kind die Schuld aufzubürden, also statt „Du hast mich die ganze Zeit so genervt“ lieber „Ich bin gerade gestresst und mit den Gedanken woanders“) und zeigen, wie wir an uns arbeiten, uns aber auch nicht dafür fertig machen.
Und ich glaube, dass wir damit unsere Kinder stärken können. Eben genau mit unseren authentischen Fehlern. Mit unserem Echtsein.
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