Skip to content
langsam Achtsam Echt❤️ Bedürfnisorientiert mit drei Kids | 💑 Eltern werden, Paar bleiben | 🌿 Nachhaltigkeit im Alltag
Uncategorized

„Mein Kind will sich nicht allein anziehen!“

On 20.04.2020 by anna

Stefanie* schrieb mir: „Mein Sohn (3) will sich nicht allein anziehen, obwohl er es kann und wir seine Selbstständigkeit immer gefördert haben. Mache ich ihn unselbstständig, wenn ich ihm helfe?“

Hier beantworte ich eure Fragen mit meinem Hintergrund eines Studiums der Neurowissenschaften und kognitiven Psychologie, einer Ausbildung zur Trageberaterin und Babykursleiterin, meinem gesammelten Wissen aus etwa 250 Büchern zum Thema Erziehung und meinen Erfahrungen, die ich in den letzten sieben Jahren als Mutter gesammelt habe. Ich bin keine Psychologin und kein Coach. Wenn euch eine Situation so sehr belastet, dass sie eure Gedanken den ganzen Tag über beeinflusst, möchte ich euch bitten, euch professionelle Hilfe zu suchen. Ich kann euch die innere Arbeit mit eurem Päckchen an Erfahrungen, Verletzungen und Traumata nicht abnehmen. Was ich aber versuchen kann, ist euch ein paar Gedanken und Impulse mitzugeben, die euch vielleicht helfen können, eure eigene Lösung zu finden. Und wenn ihr euch mit dem, was ich schreibe, überhaupt nicht identifizieren können solltet, dann ist auch das ein wichtiges Zeichen. Ich bin keine „Expertin“ und habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Was ich anbieten kann, ist eine (hoffentlich) empathische Antwort aus wissenschaftlichem und persönlichem Hintergrund.

Wer mir auch schreiben möchte, wendet sich bitte an anna.brachetti@posteo.de. Ich bearbeite dienstags und donnerstags für eine bestimmte Zeit eure Briefe. Schreibt bitte auch dazu, ob ich eure Nachricht und meine Antwort darauf anonymisiert (*Namen werden verändert) veröffentlichen kann.

Vielen Dank für das Vertrauen!

Hallo Anna,

Mein Sohn ist nun etwas über drei Jahre alt und geht seit zwei Monaten in einen neuen Kindergarten, da wir kürzlich umgezogen sind. Er tut sich aktuell schwer damit – sowohl mit dem Umzug als auch mit dem neuen Kindergarten. Zudem hat er im Dezember noch einen kleinen Bruder bekommen. Das mal vorweg zu den äußeren Umständen, die sich für den kleinen Mann natürlich sehr stark geändert haben.

Zu meinem „Problem“: er hat wirklich so gut wie gar kein Interesse Dinge selbst zu tun (weder Anziehen noch Händewaschen, Zähneputzen, Schuhe anziehen oder oder oder). Ich zwinge ihn nicht dazu, weil das nur in Geschrei und enormem schlechten Gefühl auf beiden Seiten endet. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es bei ihm diesbezüglich so gar nicht vorwärts geht. Er geht seit er 15 Monate alt ist in eine Kinderbetreuung (erst Krippe und jetzt Kindergarten im neuen Wohnort). In der Krippe wurde schon viel wert drauf gelegt, dass die Kinder ab 2J. sich selbst anziehen etc. Damit hat er sich immer schwer getan und zu Hause hat er das überhaupt nicht gemacht … habe ihn aber auch nie gedrängt. Ich frage mich nun ob das wohl etwas ist, was ich mehr unterstützen müsste, also mich mehr mit ihm auseinander setzen müsste? Oder ob es etwas ist, was sich mit der Zeit von selbst auflösen wird?

Eigentlich möchte ich ihm jetzt nicht zusätzlich zu den Änderungen (Wohnort, Kindergarten, Bruder) noch diesbezüglich Druck machen, habe aber Angst „den Absprung“ zu verpassen und er quasi „nie“ Dinge selbst tun will….Ich würde mich sehr freuen von dir zu lesen.

Viele liebe Grüße Stefanie*


Hallo liebe Stefanie*,

Vielen Dank für dein Vertrauen!

„Hilf mir es selbst zu tun!“

Das „Hilf mir, es selbst zu tun“ bedeutet nämlich genau das: dass wir unseren Kindern ermöglichen sollen, Dinge selbst zu erledigen. Wir müssen sie aber nicht zwingen. Manche Kinder wollen sehr früh eigenständig ihre Kleidung anziehen, andere eben nicht. Wir sollten sie dabei unterstützen und sie motivieren, es zu versuchen, das bedeutet aber nicht, dass wir daneben sitzen und jubeln sollen, sondern z.B. dass Kleinkinder ihren Arm selbstständig durch den Ärmel schieben oder sich die Socken ausziehen.
Es wird für Kinder schwieriger, selbstständig zu werden, wenn wir ihnen Dinge abnehmen, die sie schon können, weil wir es eben schneller können. Wenn wir ihnen permanent etwas abnehmen und ihnen kommunizieren: Du bist zu langsam, du kannst das noch nicht. Das ist in Ausnahmefällen sicher auch mal in Ordnung – mit der entsprechenden Begleitung („Ich weiß, dass du deine Schuhe selbst anziehen kannst – ich möchte dir jetzt gern kurz helfen, weil wir dringend los müssen. Ist das okay?“).
Du schreibst, dass es für deinen Sohn von Anfang an schwierig war, vieles selbst erledigen zu müssen. Ich glaube nicht, dass das Kindern schadet, wenn es freundlich kommuniziert und gut begleitet wird, aber ich schätze es so ein, dass er bei dir immer etwas aufatmen konnte.

Die Sprachen der Liebe

Hast du dich schon mal mit den „Sprachen der Liebe“ nach Chapman beschäftigt? Das sind besondere „Sprachen“, mit denen sich jemand besonders geliebt fühlt. Eine Sprache der Liebe ist „Acts of Service“, das wird manchmal mit Hilfsbereitschaft übersetzt. Das bedeutet, jemand mit dieser Sprache fühlt sich besonders geliebt, wenn man etwas für ihn tut. Auch oder erst recht, wenn man es schon kann. Bei Erwachsenen ist das vielleicht, für sie noch mal aufzustehen und die kleinen Erdbeerkaubonbons von der Tankstelle (hier in Berlin vom Späti) zu holen, weil es für die Schwangere genau jetzt diese Erdbeerkaubonbons sein müssen. Oder jemandem das Frühstück zuzubereiten, eine lästige Arbeit abnehmen.
Für Kinder können diese kleinen Gesten z.B. das Anziehen und Zähneputzen sein (abgesehen davon sollte man die Zähne wohl immer nachputzen, bis die Kinder schreiben können, empfiehlt unser Zahnarzt).
Du schreibst auch, dass sich im Umfeld deines Kindes gerade sehr viel verändert hat. Ihr seid umgezogen, der kleine Bruder wurde geboren, es gab einen neuen Kindergarten. Die einzige Konstante bist gerade du. Es verwundert mich wenig, wenn dieser Rückfall und das Bestehen darauf, dass du ihm hilfst, gerade seine Strategie ist, um sich zu vergewissern, dass du noch da bist für ihn. Das ist eigentlich ziemlich klug und kompetent.
Ich habe das Gefühl, dass diese „Sprache der Liebe“ bei Erwachsenen viel mehr akzeptiert wird als bei Kindern. Kinder sollen bloß schnell selbstständig werden – das ist ein wichtiger Wert unserer individualistischen Gesellschaft. Schade nur, dass Kinder, die etwas langsamer sind oder deren „Sprache der Liebe“ eben die „Acts of Service“ sind, manchmal übersehen werden oder ihre Bemühungen, sich mitzuteilen, als unverschämt wahrgenommen werden. Wie gesagt – du sollst deinem Sohn natürlich nicht alles abnehmen und es ist total okay zu sagen „Ich helfe dir gern bei der Jacke – zieh du dir dann bitte schon die Schuhe an, während ich noch eben die Trinkflasche auffülle.“.

Kooperation vorleben

Da komme ich an einen weiteren meiner Meinung nach sehr wichtigen Punkt: Wenn wir Kooperation vorleben, ist es auch für unsere Kinder leichter, zu kooperieren. Das heißt, ich kümmere mich zuerst darum, dass der Liebestank meines Kindes gefüllt ist. Ich mache erst etwas für mein Kind – dann wird es viel eher dazu in der Lage sein, auch zu kooperieren und etwas selbst zu machen, wenn ich es darum bitte.

Selbstwirksamkeit ermöglichen

Kinder haben auch einfach unterschiedliche Interessen und entwickeln sich motorisch unterschiedlich. Dem einen Kind fällt es leichter, feinmotorische Sachen zu machen wie kleine Knöpfe zu schließen, für das andere Kind ist es schwieriger (es gibt solche Holzrahmen mit unterschiedlichen Verschlüssen zum Üben, das kann man auch selbst basteln, schau mal nach „Montessori Rahmen“, wenn das evtl. etwas für euch ist). Wir alle haben von Kind auf das Bestreben in uns, selbstständig zu werden und uns selbstwirksam zu fühlen. Bei dem einen Kind äußert sich das dann darin, dass es zum Beispiel so gern im Haushalt helfen würde – aber vielleicht wird es gar nicht gelassen, weil es ohne Kind ja schneller geht. Dafür findet es nicht so spannend, sich allein die Zähne zu putzen – aber hier wird Selbstständigkeit erwartet. Jedes Kind wird (wenn es regelmäßig gemacht wird) irgendwann allein die Zähne putzen, aber das Interesse, beim Haushalt mitzuhelfen, wird mit jeder Ablehnung abnehmen.

Energielevel im Auge behalten

Ich würde auch noch gern ein Phänomen erwähnen, das wir Erwachsenen auch oft am Abend haben: Entscheidungsmüdigkeit. Wir alle, ob Kinder oder Erwachsene, müssen am Tag unheimlich viele Entscheidungen treffen. Dass viele Eltern am Abend keine Kraft mehr haben, über Fernsehzeiten zu diskutieren oder Geschwisterstreit zu lösen, dass sie viel weniger Geduld haben, das liegt unter anderem auch daran, dass wir eine begrenzte Willenskraft haben. Wir können unsere Willenskraft durchaus trainieren, aber wir können sie auch überanstrengen und dann werden wir manchmal „entscheidungsmüde“, wollen entweder gar keine Entscheidungen mehr treffen oder überlassen bildlich gesprochen unserem emotionalen Gehirn die Führung, das dann aber natürlich nicht rational reagiert, sondern die Erfahrungen abspult, die wir selbst gemacht haben, die also einfach sind (das sind dann bei Eltern abends oft schreien, drohen, erpressen).
Auch Kinder müssen sehr viele Entscheidungen treffen. Das geht morgens schon los: Was wollen sie anziehen, in welcher Reihenfolge, welche Socke kommt noch mal an welchen Fuß? Für Kinder sind diese Entscheidungen auch deutlich schwieriger als für uns Erwachsene, weil sie weniger routiniert sind. Dass sich dein Kind eventuell schon morgens vor der Überforderung schützen will, ist auch eigentlich ziemlich schlau.
Natürlich kannst du ihn trotzdem weiterhin darin fördern, selbstständig zu werden. Du solltest deinem Kind auch nicht ungefragt alles abnehmen, sondern es so viel wie möglich selbst machen, bzw. ausprobieren lassen, es ihm ermöglichen, etwas selbst zu tun, indem z.B. die Wohnung auch kindgerecht ist (Haken auf Höhe des Kindes, Hocker unter Lichtschaltern, kleine Bank zum Hinsetzen beim Schuhe anziehen,..) und du Entscheidungen vereinfachst (Kleidung abends aussuchen, Kleiderstraße auf den Boden legen, sodass die Reihenfolge klar ist..).
Wenn du darüber hinaus aber deinem Kind hilfst, etwas zu tun, das es eigentlich schon selbst kann, ist das überhaupt kein Problem und wird dein Kind auch nicht unselbstständig machen. Ich selbst erwähne es meist noch mal extra („Oh, du möchtest gern, dass ich dir bei den Schuhen helfe? Ich weiß ja, dass du das schon kannst, aber wenn es dir wichtig ist, helfe ich dir heute gern.“). Damit ist dem Kind auch noch mal klar, dass es eigentlich in der Lage ist, die Schuhe selbst anzuziehen und dass es in der Zukunft vielleicht auch häufiger die Schuhe selbst anziehen wird, dass du es aber auch nicht im Stich lässt, wenn es eigentlich nur nach Liebe fragt.

„Beziehungsgespräch“

Jesper Juul würde wahrscheinlich ein „Beziehungsgespräch“ vorschlagen. Dabei setzt du dich mit deinem Sohn bei Kakao und Keksen an den Tisch und sagst etwas in der Art: „Ich habe beobachtet, dass du gern meine Hilfe beim Anziehen morgens möchtest. Ich helfe dir gern, allerdings muss ich morgens auch mich selbst und deinen kleinen Bruder anziehen. Wie schaffen wir es, dass wir morgens ohne Hetze alles erledigen können?“ Dann könnt ihr Ideen sammeln. Vielleicht malt ihr einen Plan, auf dem steht, was morgens alles ansteht. Vielleicht verabredet ihr, dass du beim Anziehen hilfst, er sich aber Jacke und Schuhe selbst anzieht.

Ich hoffe, dass dir diese Einschätzungen vielleicht schon etwas weiter helfen. Melde dich gern (z.B. in einem Monat) noch mal und sag Bescheid, ob sich etwas verändert hat – emotional bei dir oder in euren Abläufen.

Alles Liebe,

Anna

Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Neueste Beiträge

  • Weihnachtsgeschenke für Kinder (1-6 Jahre)
  • Jemand in meinem Umfeld radikalisiert sich – was tun?
  • Paarzeit im Advent
  • Schulstart 2020 – so bereiten wir unsere Kinder vor
  • Lesen lieben lernen – Kinderzeitschriften vom SAILER Verlag

Neueste Kommentare

    Archive

    • November 2020
    • August 2020
    • Juni 2020
    • Mai 2020
    • April 2020
    • März 2020
    • November 2019
    • Oktober 2019
    • September 2019
    • August 2019
    • Juli 2019
    • Juni 2019

    Kategorien

    • Achtsamkeit
    • Baby
    • Elternschaft
    • Geschwister
    • Kindergartenkind
    • Kleinkind
    • Nachhaltigkeit
    • Paarbeziehung
    • Schulkind
    • Schwangerschaft
    • Uncategorized

    Meta

    • Anmelden
    • Feed der Einträge
    • Kommentare-Feed
    • WordPress.org
    • Impressum
    • Datenschutzerklärung

    Copyright langsam Achtsam Echt 2021 | Theme by ThemeinProgress | Proudly powered by WordPress