
Beziehungen leben
On 26.08.2019 by annaEs ist gar nicht so leicht, Eltern zu sein. Wir wollen gern mit unseren Kindern anders umgehen, als wir es oft selbst erlebt haben, haben hohe Anforderungen an uns selbst und an unsere Kommunikation – und am Ende des Tages bleibt oft wenig Geduld für den*die Partner*in übrig. Dieser Artikel beinhaltet neben einem Essay über Beziehungen zwei Gesprächstechniken, die helfen können, wieder zusammen zu finden und die den Zusammenhalt einer Familie fördern …
Wir haben ein verqueres Bild von der Liebe. Und obwohl uns das eigentlich bewusst ist, halten wir daran fest. Mir geht es jedenfalls so – überall sehe ich sie, die perfekten Beziehungen. Glückliche Paare, die Hand in Hand am weißen Sandstrand entlang laufen. Paare, die einander voller Liebe anstrahlen. Und dann vergleiche ich, obwohl ich nicht vergleichen will, und frage mich, wieso es bei uns nicht auch immer so aussieht. Irgendwie weiß ich eigentlich, dass die wenigsten eine perfekte Beziehung haben. Aber es fällt trotzdem schwer zu erkennen, dass ein paar 15-sekündige Stories oder ein schönes Bild eben nur einen Teil der Realität darstellen. Wir projizieren unsere eigenen Wünsche und manchmal unerfüllten Erwartungen in die Bilder und vermeintlichen Leben anderer und glauben dann, dass es woanders viel besser läuft. Auf jeden Fall haben andere ganz bestimmt viel mehr Sex.

Unser Idealbild steht uns im Weg
Sicher, es gibt die langzeitromantisch dauerverliebten Paare, bei denen alles so gut passt, dass sie sich tatsächlich niemals streiten. Es gibt Elternpaare, die kurz nach der Geburt, wenn kaum die Wunde vom Dammriss verheilt ist, schon wieder Lust haben. Das ist toll und das gönne ich ihnen von Herzen. Aber bei uns gibt es eben auch mal handfesten Streit, wir werfen uns auch mal überhaupt nicht GfK-konform Dinge an den Kopf, die wir später bereuen, wir halten Absprachen nicht ein und drehen uns in Diskussionen irgendwie nur noch auf der Stelle. Und Sex, ja, damit sah es im ersten Jahr mit Baby eher mau aus. (Wurde besser!)
Das Tolle ist: Irgendwann habe ich erkannt, dass all das kein Zeichen einer schlechten Beziehung ist. Gute Beziehungen funktionieren mit guter Kommunikation. Aber sie gehen auch nicht gleich kaputt, wenn man sich mal ordentlich aneinander reibt. Sie gehen, auch wenn guter Sex ein wirklich wichtiger Teil einer Beziehung sein kann, nicht mal dann kaputt, wenn man eine Weile lang abends so müde und kaputt und „overtouched“ ist, dass man sich überhaupt nicht mehr auf den oder die Partner*in einlassen kann. Gute Beziehungen halten es aus, wenn man eine Weile lang nebeneinander her lebt, mehr wie in einer WG als in einer Partnerschaft. Ich möchte auch kein allzu schwarzes Bild von der Beziehung nach der Geburt zeichnen, es gibt sie noch, diese Momente voller Liebe, die kleinen Gesten der Zuneigung, und bei vielen Eltern wird die Bindung der Partner*innen zueinander mit einem Kind sogar noch enger, weil wir so sehr über uns hinaus wachsen. Manchmal fällt es aber eben auch einfach schwer, im Partner nicht nur den Vater zu sehen, in der Partnerin nicht nur die Person, der man in der abendlichen Schreistunde irgendwann, wenn man nicht mehr kann, wortlos das Baby wieder in die Hand drückt. Das ging mir so und das geht sehr vielen anderen so.
Erinnerung daran: Wir haben uns in diese Person mal bis über beide Ohren verliebt
Es ist leicht, sich in das perfekte Idealbild zu verlieben, das man sich macht, wenn man jemanden gerade erst kennen lernt. Dann sehen wir nämlich erst mal nur das Oberflächliche wie auf einem Instagram-Bild. Das, was die Person von sich preisgeben will. Und erst später lernen wir all die Ecken und Kanten und Macken kennen. Aber Liebe bedeutet, ineinander auch dann das Gute zu sehen, wenn es mal mies läuft. Und vor allem sieht Liebe überall anders aus. Beziehungen sind ein ständiges Auf und Ab. Ich habe es oft beobachtet (und selbst erlebt), dass Elternschaft das durchaus noch verstärken kann. Gute Kommunikation ist manchmal schwer, wenn ich alle Kraft damit verbraucht habe, mit dem Kleinkind darüber zu diskutieren, dass es nach dem Toilettengang spülen UND die Hände waschen soll.
Die meisten Paare, die sich trennen, tun das im ersten Babyjahr. Und ja, dieses Jahr ist manchmal unglaublich hart! Aber als ich es geschafft hatte, meinen Mann nicht als zusätzliches Kind zu sehen – dafür aber unsere Beziehung wie ein zusätzliches Kind zu behandeln, das ebenso Zeit und Liebe und Geduld braucht – da war mir auch wieder klar: Wir werden unser Glück nicht finden werden, indem wir uns mit Fremden im Internet vergleichen, sondern nur indem wir auf uns und unsere eigene Partnerschaft schauen. Denn das ist alles, was für uns zählt.
Als Paar wieder zusammen finden: 36 Fragen
Wir hatten als Paar immer wieder schwierige Zeiten. So schwierig, dass wir uns irgendwann Hilfe in Form einer Paartherapie gesucht haben. Ich habe keine Probleme, offen darüber zu reden, weil es so, so sinnvoll ist, sich Hilfe zu suchen, wenn man selbst nicht weiterkommt und immer in den selben Diskussionen feststeckt. Es gab schließlich mal eine Zeit, in der das nicht so war – und der/die Partner*in hat sich meistens nicht so richtig verändert. Wir sind nur weniger tolerant gegenüber ihren oder seinen Eigenheiten – was wir erst zum Verlieben fanden, stört auf einmal so sehr, dass es zum Trennungsgrund werden könnte. Aber wie findet man wieder zueinander zurück?
Im Internet kursiert eine Liste mit 36 Fragen, bei denen sich angeblich selbst Wildfremde ineinander verlieben würden. Der Grund: wir öffnen uns, reflektieren vieles, bekommen persönliche Einblicke in die Gedankengänge des Gegenübers. Mein Mann und ich haben uns eine Weile lang an manchen Abenden Zeit genommen, die Fragen durchzugehen. Wir waren einander nicht fremd, aber dennoch bieten die Fragen noch mal einen neuen Anreiz, um miteinander zu reden.
Warum diese Fragen (auch bei Paaren) funktionieren, um sich (wieder) zu verlieben, liegt aber einfach daran, dass wir wieder mehr auf die Kommunikation achten und uns ganz zeigen. Jedes tiefe Gespräch hätte wahrscheinlich einen ähnlichen Effekt.
Gesprächstechnik für Paare
Eine Gesprächstechnik, die uns unsere Therapeutin damals nahe legte, war das Zwiegespräch. Dafür haben wir uns mindestens einmal in der Woche zu einem festen Zeitpunkt Zeit füreinander genommen. Das Zwiegespräch konnte verschoben werden, allerdings musste es dann zum schnellstmöglichen Zeitpunkt nachgeholt werden (bzw. wurde beim Verschieben direkt der neue Termin festgelegt).
Das Zwiegespräch war ein fester Termin, der auch behandelt wurde wie jeder berufliche, unumstößliche Termin. Es ist Arbeit – Beziehungsarbeit.
Beim Zwiegespräch redet ein*e Partner*in eine festgelegte Zeit lang, der oder die andere hört nur zu, unterbricht nicht und hört nicht zu, um zu antworten, sondern um zuzuhören. Wir hören im Alltag so oft zu, um danach schnell eine Lösung anbieten zu können oder darauf möglichst klug reagieren zu können. Dabei vergessen wir, dass unsere Lösungen nicht für alle passen müssen. Zuhören, um zuzuhören ist eine sehr wertvolle Technik (die ich auch nicht perfekt beherrsche!).
So geht das Zwiegespräch:
- – wir finden einen Termin (eine Stunde lang) einmal die Woche und tragen ihn in den Kalender ein
- – alle Störquellen (Handys, Türklingel…) werden ausgeschaltet
- – erst redet der/die eine für 30 Minuten und der/die andere hört nur zu, die Zeit wird nicht überschritten, man kann aber auch einen Teil der Zeit nutzen, um einfach nur zu schweigen und sich anzuschauen
- – wer als erstes anfängt, wird abgewechselt (fange ich dieses Mal an, bin ich beim nächsten Mal als zweite dran)
Die „Regeln“ für den/die Sprechende*n:
- – über das reden, was einen selbst gerade bewegt, wie man sich gerade fühlt
- – ausschließlich Ich-Botschaften, kein Gespräch darüber, was der/die andere macht! (statt „Du hast in letzter Zeit immer…“ lieber „Ich fühle mich…“)
- Die „Regeln“ für den/die Zuhörende*n:
- – ausschließlich zuhören, keine Zwischenfragen, keine Kommentare
- – ungeteilte Aufmerksamkeit schenken
- – zuhören, um aufzunehmen – kein analytisches Zuhören
Über die Inhalte des Zwiegesprächs darf später im Alltag geredet werden; wer zu Eskalation neigt, sollte allerdings erst einige Stunden verstreichen lassen.
Gesprächstechnik für Familien
Gute Kommunikation muss nicht unbedingt allen Punkten der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg entsprechen. Gute Kommunikation bedeutet vor allem, dass die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt füreinander im Mittelpunkt stehen. Das gilt für Kinder, aber eben auch für Erwachsene.
Ich finde es wichtig, den Kindern von Anfang an mitzugeben, wie gute Kommunikation aussieht. Eine Technik, um im Alltag wertschätzend miteinander über Bedürfnisse reden zu können, ist die Familienkonferenz nach Gordon. Man kann sie prinzipiell ab etwa drei Jahren anwenden, wenn das Kind sich einigermaßen sprachlich ausdrücken kann, allerdings finde ich es sinnvoll, schon vorher ein Ritual daraus zu machen. Das Wichtigste dabei: Alle Meinungen, alle Wünsche, alle Bedürfnisse zählen gleich viel. Neue Regeln oder Regelungen werden von allen gemeinsam beschlossen.
So läuft die Familienkonferenz ab:
- – Die Familie trifft sich regelmäßig zu einer festgesetzten Zeit, zum Beispiel einmal die Woche Sonntag morgens. Allerdings kann die Familienkonferenz auch aus akutem Bedarf spontan einberufen werden – von allen Familienmitgliedern. Es sollten auch alle dabei sein!
- – Wenn die Kinder noch kleiner sind, ist die Familienkonferenz kürzer. Unsere Kinder können sich jetzt mit 4 und 6 Jahren schon etwa eine halbe Stunde lang darauf konzentrieren, wird es länger, zappeln alle schon auf den Stühlen ;).
- – Alle Familienmitglieder werden mit ihren Ideen und Wünschen angehört. Sie können Probleme offen ansprechen; alle anderen hören zuerst zu und reagieren nicht direkt.
- – Wird eine Entscheidung getroffen, müssen alle Familienmitglieder damit einverstanden sein. Nur in Ausnahmefällen gibt es eine Mehrheitsentscheidung.
- – Es gibt eine*n Vorsitzende*n, der oder die die Konferenz leitet und moderiert. Auch diese Stimme zählt genauso viel wie die der anderen und der Vorsitz geht reihum, auch an Kinder.
- – Die zusammen erarbeitete Lösung wird bis zur nächsten Konferenz angewandt (es sei denn, sie ist absolut undurchführbar) – erst dann wird rekapituliert und ggf. angepasst
All diese „Regeln“ dürfen selbstverständlich angepasst werden an die eigenen Bedürfnisse. Was wir uns aber generell als Paar oder Familie angewöhnen sollten, ist eine gute, wertschätzende Kommunikationskultur. Regelmäßige Termine, bei denen die gute Kommunikation im Vordergrund steht, können (nach einer Weile) helfen, auch im Alltag respektvoller und liebevoller miteinander zu sprechen.
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