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Lob, Belohnungen und Strafen

On 12.07.2019 by anna

Lob, Belohnung, Strafen – braucht ein Kind das, um zu einem wertvollen Mitglied unserer Familie und unserer Gesellschaft zu werden? Wie funktionieren diese Maßnahmen, was machen sie mit dem Kind? Was können wir sagen statt „gut gemacht“ und was, wenn das Kind einfach nicht hören will? (15 min read)

Das Thema Belohnungen, Lob und Strafen hat mich persönlich sehr lange beschäftigt. Ich dachte früher, dass diese Mittel fester Bestandteil der Erziehung von Kindern sein müssen, dass Kinder ohne Belohnungen, Lob und Strafen nicht das lernen würden, was sie lernen sollen, dass sie nicht zu fähigen Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen könnten.

Zum Umdenken brachte mich schließlich ein Buch – „Liebe und Eigenständigkeit“ von Alfie Kohn – und die daraus resultierenden langen E-Mails, die ich mit Danielle Graf (vom Blog „Das gewünschteste Wunschkind“, den ich ja auch generell ständig empfehle, weil er mich so nachhaltig beeindruckt). Das Buch ist sehr wissenschaftlich geschrieben, was für mich spannend war. Ich habe ja kognitive Psychologie studiert und die Studien, von denen er schrieb – die kannte ich. Ich hatte sie nur nie auf Kinder bezogen.

Zum Verständnis: Unter „Lob“ fasse ich hier das „super“, „gut gemacht“ und ähnliches, das direkt die Handlung des Kindes bewertet. Was ich stattdessen sage, um Wertschätzung auszudrücken, erkläre ich weiter unten.

Unter „Bestrafung“ fasse ich alle von uns Eltern bestimmten Konsequenzen, die wir unserem Kind auferlegen. Was natürlich trotzdem passieren kann und eben auch passiert, sind die natürlichen Folgen einer Handlung, wie beispielsweise, dass es nass wird, wenn es ohne Jacke in den Regen raus geht oder eben auch, dass wir als Eltern manchmal sauer werden (wie genau sich dann unsere Wut äußert und dass sie nicht verletzend wird, liegt aber immer in unserer Verantwortung, nicht in der des Kindes).

Grundsätzlich finde ich es wichtig, das Thema Belohnungen, Lob und Strafen in eine Perspektive zu setzen. Zum einen machen Eltern nichts falsch, wenn sie belohnen, loben und strafen – sie machen es einfach anders. Ich habe für mich diesen Weg ohne diese Taktiken gefunden, aber das muss nicht für alle passen. Und auch wenn man gerade aus der „Unerzogen“-Bewegung viel hört, dass alle Arten von Gewalt schlimm sind, auch erzieherische Gewalt, so finde ich persönlich dennoch, dass wir hier differenzieren müssen. Wenn eine Mutter beispielsweise stark damit kämpft, ihre Kinder nicht mehr zu schlagen, gehe ich nicht hin und verlange von ihr, dass sie jetzt auch noch zusätzlich mit den „Wenn, dann…“-Drohungen aufhören muss (abgesehen davon, dass ich ohnehin niemals irgendeine Erziehungs- oder Nicht-Erziehungsmaßnahme von irgendjemandem verlangen würde). Wenn ein Vater sich bemüht, seine Kinder nicht anzuschreien, dann kann ich das anerkennen, anstatt noch weitere Forderungen zu stellen. Es geht hier nicht darum, alles „richtig“ zu machen, sondern einen Weg zu finden, der zu Harmonie in der Familie führt. Wovon Kinder am meisten profitieren, sind Eltern, denen es gut geht. Das rechtfertigt natürlich keine schädlichen Handlungen – man kann sich nicht damit herausreden, den Kindern als Akt der Selbstfürsorge zu drohen, ihnen die Kuscheltiere wegzunehmen, wenn sie jetzt nicht schlafen -, legt aber doch den Fokus darauf, dass es einfach im Umgang mit Kindern nicht den einen perfekten Weg gibt. 

Viele Eltern allerdings fühlen sich mit dem ständigen Belohnung, Loben und Strafen eben nicht wohl. Für diese Eltern ist dieser Artikel, in dem ich zusammenfasse, was ich über die Funktionsweise dieser Taktiken und über die Gründe dafür oder dagegen gelernt habe und was wir alternativ tun können. 

Zugrunde liegt für mich immer die Annahme (nach Jesper Juul), dass unsere Kinder nicht unbedingt gleichberechtigt sind, aber gleichwertig. Sie haben es verdient, wertgeschätzt und geliebt zu werden – so wie sie sind. Sie müssen sich nicht verändern, damit ich sie lieben kann und ich behandle sie als wertvolle Mitglieder unserer Gemeinschaft. 

Warum belohnen, loben oder strafen wir? 

Belohnungen, Lob und Strafen sind Mittel, um ein bestimmtes erwünschtes Verhalten zu verstärken oder ein unerwünschtes Verhalten zu unterbinden. Eltern, die diese Mittel nutzen, tun dies nicht, um ihrem Kind zu schaden, sondern weil sie Sorge haben, dass ihre Kinder sonst nicht in der Gesellschaft bestehen können werden. Wir nutzen diese Techniken auch, weil wir nicht erwarten, dass das Kind aus eigener Motivation das tun könnte, was wir gern von ihm wollen. Es fehlt also an Vertrauen. 

Oft geschieht es auch aus Zeitdruck – wir wollen, dass das Kind schnell funktioniert. Und hier ist auch der Punkt, der für mich gegen Belohnungen, Lob und Strafen spricht: Sie sind Mittel der Manipulation, die mein Kind zum Funktionieren bringen sollen. Ich persönlich möchte allerdings keine Kinder, die funktionieren. Ich wünsche mir kreative Freigeister, die bereit sind, umzudenken und neue Wege zu gehen. Das Problem: Wir alle wünschen uns solche Menschen als Erwachsene, unsere Welt braucht sie auch dringend. Als Kinder sind sie allerdings ziemlich anstrengend. Obwohl es so oft heißt „Sei Pippi, nicht Annika“, hätten wir doch manchmal ganz gern, dass unsere Kinder wenigstens manchmal ein kleines bisschen mehr Annika wären. Ein bisschen angepasster. Ein bisschen weniger widerspenstig. Ein bisschen weniger anstrengend. Manchmal ist das Verhalten unserer Kinder für uns so schwer zu tragen, dass wir es einfach nur noch abstellen wollen. Diese Gedanken kenne ich auch und sie sind absolut legitim! Allerdings können wir, wenn wir das Kind erziehen nicht erfahren, warum es auf eine bestimmte Weise handelt. Und damit geht uns einiges verloren – manchmal sogar die Verbindung. Hinter jeder Handlung unserer Kinder (und uns Erwachsener) steht ein Bedürfnis. Ich finde den Satz, den (wenn ich mich richtig erinnere) Jeannine Mik vom Blog „Mini and me“ geprägt hat, so unglaublich hilfreich: „Unsere Kinder tun nichts gegen uns, sondern etwas für sich.“. 

Das Bedürfnis hinter einem Verhalten zu erkennen und dieses zu befriedigen ist manchmal ganz schön harte Arbeit. An den Symptomen zu arbeiten und sie abzustellen, ist definitiv der bequemere Weg. Aber ich wage zu behaupten, dass es sich lohnt, den steinigeren Weg zu gehen. Was wir dadurch bekommen? Echte Verbundenheit, echtes Verständnis, echte Lösungen. 

Funktionieren Belohnung, Lob und Strafen? 

Viele Studien weisen auf die Wirksamkeit von Lob und Belohnung hin in dem Sinne, dass das gewünschte Verhalten verstärkt gezeigt wird. Es zeigt sich vor allem aber eine kurzzeitige Wirkung; die Belohnung muss immer wieder kommen, um wirklich nachhaltig zu wirken. 

Dagegen zeigt die Studienlage sehr klar, dass Strafen nicht oder höchstens sehr kurzfristig und nur unter Beobachtung der*des Strafenden dazu führen, dass das Verhalten unterlassen wird. Grund ist wahrscheinlich, dass durch die Strafe kein Verständnis im Gestraften entsteht und es rein um eine (umgekehrte) Konditionierung geht. 

Alfie Kohn führt in „Liebe und Eigenständigkeit“ zudem eine Studie aus Israel an, bei der Pilot*innen nach einem besonders erfolgreichen Flug gelobt wurden – und daraufhin beim nächsten Mal schlechter flogen. Wurden sie scharf kritisiert, flogen sie beim nächsten Mal aber nicht besser. Er interpretiert das so, dass Strafen und Belohnung nicht funktionieren – ich persönlich interpretiere die Studie allerdings anders. Was hier passiert, ist ein ganz natürliches auftretendes, statistisches Phänomen, das sich „regression to the mean“, also Annäherung an den Durchschnitt, nennt. Nach einer besonders herausragenden Leistung, egal in welche Richtung, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die nächste Leistung sich eher an das bisher übliche Mittelmaß annähert. 

Dennoch ergibt es Sinn, dass die Pilot*innen nach einer scharfen Kritik schlechter flogen: Die Angst vor einer erneuten Beschämung ließ sie eventuell unsicherer werden, wodurch sie mehr Fehler machten. 

Extrinsische und intrinsische Motivation 

Belohnungen, Lob und Strafen funktionieren normalerweise mindestens kurzfristig. Wenn wir unser Kind loben oder belohnen, wird im Gehirn (u.a.) Adrenalin ausgeschüttet – das Kind fühlt sich gut. Dadurch wird das gewünschte Verhalten verstärkt, das unerwünschte unterdrückt. Kinder werden extrinisch zu einer Handlung motiviert. 

Entscheidet sich ein Kind jedoch aus freien Stücken zu einer Handlung, die ihm Freude bereitet, finden andere Mechanismen statt. Kinder wollen Teil der Gesellschaft sein. Wir sind eine soziale Spezies – im Miteinander sind wir glücklich und das führt zu Dopaminausschüttung. Auch wenn wir etwas schaffen und uns darüber freuen, verstärkt Dopamin automatisch die Handlung, die uns dazu gebracht hat. Diese intrinsische Motivation kann uns auch dazu bringen, etwas zu tun, das wir weniger mögen, weil wir durch diese Handlung unser Wertesystem aufrecht erhalten – was wiederum für uns ein angenehmes, „motivierendes“ Erlebnis ist. Intrinsische Motivation ist deswegen so unglaublich wertvoll, weil darauf unser Selbstbewusstsein und unsere Werte fußen. Wenn wir etwas aus intrinischer Motivation tun, dann ist dieses Verhalten auch nachhaltiger. 

Mit Techniken wie Belohnung, Lob und Strafen machen wir unser Kind auf Dauer sogar richtig abhängig von unserer Bewertung. Sie brauchen dann das Lob, um etwas zu machen. Sie werden – überspitzt gesagt – zu Adrenalinjunkies. Fallen das Lob oder die Belohnung weg, unterlassen sie aber auch oft sofort wieder die gelobte Handlung. Außerdem können sie Versagensängste hervorrufen, nicht zu genügen – und nicht den nächsten „Adrenalinkick“ erhalten zu dürfen. 

Nun ist natürlich die Frage, ob dann nicht eine Kombination aus extrinsischer und intrinsischer Motivation am sinnvollsten ist. Das lässt sich größtenteils auch mit Ja beantworten – außer, die motivierenden Faktoren führen zu einem Wertekonflikt. Und genau das passiert, wenn ein Kind eigentlich ein Bedürfnis hat, die Forderungen der Eltern dem allerdings entgegenstehen. Das kann dann zu Demotivation und einer Handlungsunfähigkeit führen (und dafür werden Kinder dann häufig kritisiert oder gar bestraft). 

Auch wenn ein Kind aus intrinischer Motivation etwas getan hat und dann dafür gelobt wird, kann es in einen inneren Zwiespalt geraten. Das Lob drückt prinzipiell aus: Ich vertraue nicht, dass du das ohne mein Lob gemacht hättest. 

Stärken können wir die extrinisiche Motivation auf eine „sichere“ Weise aber durch Wertschätzung, Respekt und Anerkennung. Das führt dann nämlich nicht zu besagtem Wertekonflikt, weil sie direkt auf die Werte eingehen. Ein Kind, das aus intrinischer Motivation den Geschirrspüler ausräumt – weil es sich damit als wertvolles Mitglied der Familie fühlt – kann also darin ermutigt werden, indem es Wertschätzung erfährt. 

Warum ich nicht belohne, lobe und strafe 

In dem Moment, in dem ich mein Kind für ein bestimmtes Verhalten belohne oder lobe, bewerte ich mein Kind. Ich stelle mich und mein Urteil über das Kind. Auch wenn ich eigentlich die Intention habe, mein Kind dadurch zu bestärken, zeige ich unbewusst, dass es um mich geht, um meine Meinung, statt dass mein Kind mit all seinen Facetten – zu denen es eben auch gehört, dass es nicht immer dieses Verhalten zeigt – annehme. 

Ich verstärke damit das gewünschte Verhalten, zumindest kurzfristig, aber ich schaffe gleichzeitig Ängste in dem Kind, dass es beim nächsten Mal eventuell nicht so „super“ sein könnte. Ich stelle Erwartungen an, motiviere mein Kind zum Wettbewerb und verstärke das Konkurrenzdenken – denn wer bewertet wird, kann ja auch besser oder schlechter sein als jemand anderes. Ich stelle mich gleichzeitig in eine Machtposition: Ich habe das Recht, mein Kind zu bewerten. 

Dadurch, dass ich diesen einen Weg, dieses eine Verhalten verstärke, kennt mein Kind den „richtigen“ Weg und wird eventuell gar nichts anderes mehr ausprobieren. Das mag bei manchen Verhaltensweisen gewünscht sein, grundsätzlich gibt es ja aber oft mehr als eine richtige Lösung. Das Kind wird also eventuell weniger kreativ, wenn es darum geht, verschiedene Lösungswege zu finden, weil es sich auf den einen funktionierenden versteift. 

Mit einer Strafe versuche ich ein bestimmtes Verhalten zu unterbinden, schaue jedoch nicht nach den Beweggründen. Ich stelle nur ein Symptom ab. Kinder werden, je nachdem, wie schlimm die Strafe ist, auch tatsächlich dieses Verhalten unterlassen – zumindest solange sie sich beobachtet fühlen. Wir können das übrigens auch bei Erwachsenen im Straßenverkehr gut beobachten: Mittlerweile können ja die meisten Navigationsgeräte vor Blitzern warnen. Blitzer sollen eigentlich an Gefahrenzonen aufgestellt werden, also dort, wo es besonders gefährlich werden kann, wenn man zu schnell fährt. Nun beobachtet man ja in der Blitzerzone häufig, wie sich die Autos peinlich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten – nur um sofort wieder zu beschleunigen, sobald der Blitzer vorbei ist. 

Die angedrohte Strafe führt also wirklich dazu, dass langsamer gefahren wird, allerdings nicht, um andere zu schützen, sondern nur, um der Strafe zu entgehen. Hängt die Strafe nicht mehr wie das Damoklesschwert über den Autofahrenden, ist ihnen auch die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht mehr wichtig. 

Werden Kinder beispielsweise dafür bestraft, wenn sie anderen weh tun, lernen sie dadurch, dass die Größeren und Stärkeren das Recht haben, Kleineren weh zu tun. Sie werden sich also irgendwann ducken, sobald die Größeren da sind, sich dafür aber besonders aufspielen, wenn sie selbst die Stärksten sind. Was ich mir wünsche von meinen Kindern, ist dass sie solche Regeln, die der allgemeinen Sicherheit dienen, wirklich verstehen und aus Empathie, die ihnen angeboren ist, danach handeln. Um nachvollziehen zu können, dass es weh tut, wenn man eine Schippe über den Kopf gezogen bekommt, muss ich ihnen nicht diesen Schmerz zufügen, sondern sie müssen zum einen natürlich durchaus diese Erfahrung gemacht haben (was auf dem Spielplatz aber einfach immer irgendwann passieren wird), zum anderen brauchen sie die kognitive Reife, um sich wirklich in jemanden einfühlen zu können. Das ist ein Entwicklungsprozess, den ich mit einer Strafe höchstens verzögern kann (was genau ich als Erwachsene dann tun kann, behandle ich noch einmal in einem anderen Artikel – wichtig finde ich an dieser Stelle nur, dass wir als Erwachsene unsere Kinder in der Zeit, in der die Impulskontrolle noch nicht so reif ist, manchmal sehr eng begleiten sollten und ihnen gesellschaftlich akzeptable Wege, um mit Wut fertig zu werden, zeigen können). 

Was können wir also sagen statt einem „gut gemacht“? 

Kinder brauchen Wertschätzung und sie wollen gesehen werden. Ein „gut gemacht“ ist sogar eine ziemlich billige Form, mit der Kinder manchmal abgespeist werden, statt dass sich wirklich damit beschäftigt wird, was sie eigentlich so toll gemacht haben. Alternativen können sein: 

Beschreibung, Beobachtung: „Du hast es geschafft, ganz oben auf das Klettergerüst zu klettern!“ 

Nachfragen, Interesse: „Warum hast du die Mütze vom letzten Zwerg grün gemalt?“ 

Wertschätzung, Dankbarkeit: „Du hast mir sehr geholfen, als du dein Geschirr selbst abgeräumt hast. Danke!“ 

Was Kindern generell auch sehr gut tut und sie in ein „growth mindset“ versetzen kann, ist wenn wir uns gar nicht auf das Ergebnis fokussieren, sondern den Prozess. Studien zeigen, dass Mädchen sehr häufig dafür gelobt werden, wenn sie etwas schön gemacht haben und Jungen dafür, dass sie sich angestrengt und gekämpft haben. Es tut aber allen Kindern gut, wenn wir ihre Aufmerksamkeit noch einmal darauf lenken, was sie geschafft haben. Sie haben geübt, sie haben sich angestrengt, sie haben dazu gelernt. Das ist im Leben unheimlich wichtig! Wir haben viel zu viele Erwachsene, die unter ihrem Perfektionismus leiden und letztendlich im Burnout landen. Das sollen unsere Kinder nicht fortführen müssen.

Sagen können wir dann beispielsweise statt so etwas wie „Hey, beim letzten Mal hast du es noch nicht geschafft, hier zu balancieren. Jetzt hast du geübt und es du hast schon viel länger balanciert als letztes Mal!“ Dabei merken Kinder, dass sie selbst beeinflussen können, wie sie etwas hinbekommen. Durch Wiederholung, Übung und Konzentration können sie selbst ihre eigenen Fähigkeiten verbessern – ganz ohne Beurteilung von außen.

Was können wir tun, anstatt zu drohen und zu strafen, wenn Kinder einfach nicht hören? 

Im Marketing gibt es den Leitspruch „Look for the eyes, the smile, and the nod“. Es geht hier meist um Vertreter*innen, die bei ihren Kund*innen Augenkontakt suchen, ein Lächeln hervorrufen und ein erstes Ja hervorlocken sollen. Das klappt bei Kinder tatsächlich auch sehr gut – einfach weil wir dann sicher sein können, dass sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei uns sind und nicht abgelenkt. Den Augenkontakt müssen wir nicht erzwingen, wir können unsere Kinder einfach darum bitten. Ein Lächeln bekommen wir, wenn wir uns mit dem beschäftigen, was unsere Kinder gerade tun und darauf eingehen oder einen freundlichen Kommentar dazu machen. Das „ja“ kann durch Einfühlung kommen. 

Nehmen wir als Beispiel das Kind, das vom Spielplatz nach Hause gehen soll. Oft erlebe ich es, dass Eltern irgendwann drohen „Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich allein!“. Ich habe dann oft versucht, mich zu meinen Kindern zu setzen, ihr Bauwerk zu betrachten und zum Beispiel einen lustigen Kommentar zu machen. Hatte ich sie dann mit der Aufmerksamkeit bei mir, waren sie viel eher bereit, sich auf meinen Wunsch einzulassen. Manchmal haben wir dann noch fünf Minuten Spielen verabredet, aber in jedem Fall sind wir kurze Zeit später friedlich miteinander nach Hause gegangen. 

Das dauert in der Situation dann oft länger, ist aber meist nachhaltiger. Und irgendwann reicht es dann auch, wenn wir in kürzer werdenden Abständen ankündigen, dass es bald nach Hause geht. Unsere Kinder werden gelernt haben, dass ein paar Minuten vielleicht verhandelbar sind, es sich aber generell mit der Spielzeit gegen Ende bewegt. 

In der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg wird es ähnlich gemacht. Hier äußern wir zuerst eine Beobachtung („Du baust gerade eine Sandburg!“), dann ein Gefühl („Das macht dich ja richtig glücklich!“) und schließlich ein Bedürfnis („Ich möchte jetzt aber nach Hause gehen“). Wenn das Kind dadurch nicht direkt mitkommen will, soll mehr Einfühlung gegeben werden. Letztendlich geht es also auch hier darum, das Kind in eine „Ja-Schiene“ hineinzubekommen. 

Nun stellt sich die Frage: Ist das nicht ebenfalls Manipulation? Wenn wir bestimmte Techniken anwenden, damit unser Kind mit uns kommt? Der Unterschied ist hier allerdings, dass wir mit dieser Technik vor allem die Aufmerksamkeit unserer Kinder bekommen. Ob es dann mitkommt oder nicht, passiert aus freien Stücken einfach dadurch, dass unsere Kinder eben gern mit uns mitkommen und ja auch wissen, dass sie zu Hause ein leckeres Abendessen, eine warmes Bad oder/und eine schöne Gute-Nacht-Geschichte erwarten – und zwar eben weil diese nicht an die Bedingung geknüpft sind, dass sie jetzt tun, was wir sagen, sondern einfach weil das geliebte Rituale in der Familie sind. 

Was, wenn das Kind trotzdem nicht mitkommt? 

Manchmal fehlt uns die Zeit, um gut auf unsere Kinder eingehen zu können. Grundsätzlich stimmt es meiner Beobachtung nach definitiv, dass wir diese Zeit mit einer wertschätzenden, achtsamen Kommunikation insgesamt seltener aufwenden müssen als wenn wir Drohungen oder Bestechungen benutzen, dennoch ist es auch mir schon passiert, dass ich falsch geplant und dann einfach wirklich die Zeit fehlt, um noch zu diskutieren oder zu verhandeln (zum Beispiel, wenn wir in den Urlaub fahren wollen und in einen Zug einsteigen müssen, der uns sonst vor der Nase wegfährt – bei aller Liebe zu meinen Kindern zahle ich kein zweites Ticket, nur weil ich einen Zug verpasst habe, der direkt vor der Nase meines wütenden Kindes die Tür zugemacht hat). 

Kinder können allerdings zum Glück einen Unterschied machen zwischen Situationen, bei denen wir ihre Bedürfnisse oder Befindlichkeiten übergehen, weil wir in diesem Moment wirklich keine andere Lösung finden. Und wir können uns im Nachhinein mit etwas mehr Zeit immer noch erklären. 

Aber was, wenn es gefährlich wird? 

Genauso passiert es, dass wir unsere Kinder zu etwas zwingen müssen, um sie zu schützen. Diese Frage kommt im Bezug auf den Verzicht auf Belohnungen, Lob und Strafen immer wieder: aber was, wenn wir das Kind von etwas abhalten müssen, das gefährlich wird? Manchmal wundere ich mich etwas, warum man sich diese Frage nicht einfach mit etwas gesundem Menschenverstand selbst beantwortet. 

Selbstverständlich müssen wir unsere Kinder an der befahrenen Straße schütze. Und ja, wir müssen sie da notfalls auch mit körperlicher Gewalt wegzerren, wenn es schnell gehen muss. Manchmal müssen Kinder auch Medikamente nehmen und uns gehen irgendwann die kreativen Ideen aus. Oder Kinder müssen sich im Auto anschnallen, wollen das aber nicht und uns geht die Zeit aus. All das sind natürlich keine schönen, idealen Situationen und etwas mehr Vorbereitung und Zeit helfen manchmal schon, aber es kommt im Alltag eben auch mal vor, dass wir auf Widerstände stoßen, bei denen die Sicherheit unseres Kindes gefährdet ist, wenn wir nicht unsere schützende Gewalt anwenden. Und ja, das ist dann eben auch okay. 

Es ist aber genauso okay, wenn Kinder dann wütend, entsetzt, traurig oder einfach erschrocken sind. Die Einführung ins Kind ist wichtig – aus Zeitgründen manchmal eben nicht in der akuten Situation, aber dann eben zu einer passenderen Zeit. Wir können etwas erklären, sobald das Kind aus der Gefahr gebracht wurde. Wir können die Verbindung wieder aufbauen, Verantwortung für unser Verhalten übernehmen, gleichzeitig aber klar unsere Prioritäten (lebendiges Kind) zeigen. 

Gibt es Kinder, die trotzdem Verstärkungen wie Lob brauchen?

Es gibt Hinweise darauf, dass es besonders hochsensiblen Kindern eventuell doch gut tun könnte, extrinsische Motivation durch Verstärkungen wie Lob zu bekommen. Diese Kinder machen sich grundsätzlich so viele Gedanken um ihr Verhalten, dass sie oft eine generelle Unsicherheit in Bezug auf ihr Verhalten entwickeln. Manchen hilft es dann tatsächlich, gelobt zu werden – aber auch hier sind wertschätzende Äußerungen („Ich habe mich gefreut, dass du …“) eventuell ein sinnvollerer Weg.

Auch autistische Kinder oder Kinder, die im sozialen Bereich Schwierigkeiten haben, brauchen manchmal etwas deutlichere Leitlinien von sozial akzeptablem Verhalten, weil ihnen manchmal das Verständnis für die Empfindungen anderer fehlt. Hier wird manchmal empfohlen, eben doch verstärkt mit Lob zu arbeiten. Auch hier denke ich persönlich – habe aber keine Erfahrungen und kenne keine Studien! -, dass Wertschätzung den Kindern hilft.

Kinder, die von Lob und Belohnung bereits abhängig sind, kann man aber durchaus anfangen, anders zu begleiten. Es wird eine Umstellungsphase geben (ich würde hier ein Beziehungsgespräch à la Jesper Juul empfehlen und erklären, warum man etwas umstellen will), aber grundsätzlich ist es sicher zu sagen, dass man ein Kind mit diesen Maßnahmen nicht so abhängig macht, dass es lebenslang unter Entzugserscheinungen leiden wird, sondern Kinder können sich relativ schnell daran gewöhnen, dass das „gut gemacht“ von „Ich freue mich, dass…“ oder „Danke, dass…“ abgelöst wird.

Zusammenfassung: 

Lob, Belohnung und Strafen sind Mittel der Manipulation, um ein Kind zu etwas zu bewegen, das es häufig auch einfach aus freien Stücken irgendwann ohnehin getan hätte, weil es sich als wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft fühlen möchte. Es ist definitiv häufig aufwändiger, unseren Kindern die Zeit zu einer (im Rahmen) freien Entscheidung zu lassen. Dennoch denke ich, dass es sehr lohnenswert ist, das Selbstbewusstsein, die Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung unserer Kinder stärkt und sie zu freieren Menschen macht, die im Erwachsenenalter nicht ständig gegen den Impuls, funktionieren zu wollen, ankämpfen müssen. 

Welchen Weg eine Familie geht, ist ihr immer selbst überlassen und mein Weg ist nicht der einzig richtige. Wie André Stern aber immer so schön sagt: „Mein Weg ist nicht der einzig richtige, aber er ist der, auf dem ich mich am wohlsten fühle.“ 

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