
Warum wir eine neue Wochenbettkultur brauchen
On 26.06.2019 by annaWas braucht es für ein gelungenes Wochenbett? Wie lange dauert das Wochenbett und wie kann es stattfinden? [Dieser Artikel erschien zuerst in der wundervollen und empfehlenswerten Zeitschrift „The Mothering Journey“]
Das Wochenbett ist eine magische Zeit. Selten liegen genießen und aushalten so dicht beieinander wie in den ersten Tagen. Glückshormondurchflutet im Bett liegen neben diesem zauberhaften kleinen Wesen. Gerade noch wimmernd vor Schmerz beim Stillen durch die gereizten Brustwarzen und die Nachwehen, die tatsächlich bei jedem Kind stärker werden. Das Wunder bestaunen, den Körper ausruhen.
Am Anfang ist jedes Aufstehen körperlich anstrengend, und die Wöchnerin tut gut daran, so viel zu liegen wie nur möglich. Der Körper braucht diese ruhige Zeit zur Regeneration und zur Rückbildung der Gebärmutter. Der Kopf braucht sie, um sich daran zu gewöhnen, dass wir nun für mehr als nur unser eigenes Leben verantwortlich sind. Und das Herz braucht sie, um den besonderen Zauber dieser Tage für immer zu bewahren.

Unser Wochenbett war meistens genauso, wie ich es mir erhofft habe. Schlafen, stillen, Windel wechseln, anschauen, 20 gleich aussehende Fotos machen, kuscheln, schlafen, lesen, essen, stillen. Natürlich möchte ich anderen nicht einfach unseren Weg überstülpen, und doch denke ich, dass jede Familie von einem ruhigen Wochenbett profitiert. Ich glaube, dass wir eine neue Wochenbettkultur brauchen. Weg von dem Anspruch, nach zwei Tagen wieder alles selbst zu managen, hin zur Bemutterung der neugeborenen Mutter und echter Unterstützung für die ganze Familie. Das Wochenbett kann ein Schlüsselerlebnis darstellen auf dem Weg in ein harmonisches, gleichwürdiges und achtsames Miteinander.
Was braucht es für ein gelungenes Wochenbett?
Über das Scheitern oder Gelingen des Wochenbetts entscheidet allein die Unterstützung. Manche Familien haben einen schweren Start, und doch kann das Wochenbett viele Wunden heilen. Die Arbeit der Hebammen halte ich hier für essentiell, denn diese können nicht nur das Kind wiegen und die ordnungsgemäße Rückbildung der Gebärmutter überprüfen, sondern wissen auch Rat bei vielen Fragen und können eine emotionale Stütze sein. Gerade, wenn vielleicht das ein oder andere vielleicht nicht so läuft wie gedacht, ist eine erfahrene Hebamme an der Seite ein großer Schatz.
Wir können das Wochenbett sorgsam vorbereiten, Suppen und Eintöpfe vorkochen, Energiekugeln rollen, Obst für Smoothies portioniert einfrieren und natürlich die Erstausstattung besorgen. Und doch wäre es beschwerlich ohne Unterstützung von außen. Große Kinder wollen versorgt und beschäftigt werden, der Haushalt will weiterhin erledigt werde und die Wäsche wird auch nicht weniger, wenn ein kleiner Mensch mehr zur Familie dazu gestoßen ist. All dies sollten nicht die Aufgaben der Wöchnerin sein. Wir müssen den Anspruch beseitigen, dass eine Frau nach der Geburt sofort wieder etwas „leisten“ muss. Denn sie leistet schon genug.
Die Gefühle der Wöchnerin fühlen sich nach der Geburt sehr intensiv, sehr roh an. Mir selbst hat es sehr gut getan, meine kleine Wochenbetthöhle für die ersten zwei Wochen gar nicht zu verlassen und als ich es danach tat, kam mir die Welt so laut vor und ich fühlte mich unsicher. Viele Frauen erleben solche Gefühle.
Was nicht in diese Phase, in der sich die Familie neu findet, gehört, ist anstrengender und fordernder Besuch. Niemand, der sich selbst zu Kaffee und Kuchen einlädt und eine geputzte Wohnung erwartet. Stattdessen brauchen wir liebe Menschen, die geduldig warten, bis die Familie sich bereit fühlt, Besuch zu empfangen. Die den Geschwistern vorlesen, mal eben schnell das Geschirr einräumen und ihren Kuchen selbst mitbringen.
Einige praktische Unterstützung kann auch eingekauft werden – eine Putzhilfe, Essenslieferungen oder eine Trageberatung. Sich an den Kosten dafür zu beteiligen ist sicherlich ein sinnvolleres Geschenk für die neugeborenen Eltern als der zehnte noch so süße Body, der nach zwei Wochen schon nicht mehr passt.
Die Eltern entscheiden, wie sie die Ankunftszeit gestalten wollen. Dazu haben sie jedes Recht. Diese Zeit gehört ihnen – und sie kommt nicht wieder zurück.

Das Wochenbett als Findungszeit für die neue Familie
Ich halte das Wochenbett auch für eine Chance, aus althergebrachten Rollenmodellen auszusteigen. Denn wie sieht es denn normalerweise aus? Das Baby ist da. Ein paar Tage oder mit Glück sogar Wochen hat die junge Mutter Schonfrist, dann muss der Mann wieder arbeiten. Sie haben sich für diese Aufteilung entschieden, denn „die Mutter gehört zum Kind“ und er verdient ja sowieso mehr als sie. Da sie nun ja sowieso den ganzen Tag zu Hause ist, übernimmt sie eben auch noch „das bisschen Haushalt“. Fängt sie dann wieder an zu arbeiten – mit ihrem ehemaligen Kollegen als neuem Chef – sind beide schon so sehr daran gewöhnt, dass sie den Haushalt schmeißt, dass sich nichts ändert. Außerdem arbeitet sie ja eh nur in Teilzeit.
Und so reibt sie sich auf zwischen Arbeit, Kind und Haushalt, während er Überstunden schiebt aus Angst, die Familie nicht mehr ernähren zu können und letztendlich landen beide irgendwann im Burnout und fragen sich, wann es eigentlich angefangen hat, so sehr schief zu laufen.
Nehmen aber beide Eltern mindestens im Wochenbett Elternzeit, kann dieses traditionelle Modell aufgebrochen werden. Die Mutter bekommt die Möglichkeit, sich genug auszuruhen. Die Rückbildung läuft besser, das Stillen wahrscheinlich auch. Beide haben mehr Zeit, um sich an das neue Leben zu gewöhnen, das so ganz anders ist als vorher. Da der Vater während dieser allerersten Wochen den kompletten Haushalt übernimmt, weiß er zum einen, was für eine große Aufgabe das ist, zum anderen fällt eine gleichberechtigte Aufteilung später leichter.
Das Wochenbett kann Raum geben für viele Gespräche, denn all die Vorstellungen, die die Eltern vor der Geburt hatten, werden mit dem Baby meistens völlig verändert. Wir wissen nie, was für ein Mensch da zu uns kommt. Einige Babys brauchen mehr Zeit zum Ankommen, sind unruhiger und schreien mehr. Solche Babys profitieren unheimlich davon, viel getragen zu werden. Ist aber die Mutter diejenige, die dem Bedürfnis des Babys nach Nähe nachkommt, so kann sich daraus ein negativer Kreislauf entwickeln. Ein Baby bindet sich vor allem an die Person, die verfügbar ist. Natürlich können Wochenendväter eine gute Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und gerade diesen möchte ich sehr ans Herz legen, ihre Babys viel zu tragen – aber die erste Ansprechpartnerin und häufig die einzige, die das Kind ins Bett bringen kann, bleibt meist die Mutter. So schön es ist, gebraucht zu werden und so kurz diese Zeit letztendlich andauert – eine gleichmäßigere Verteilung entlastet die ganze Familie. Für Väter ist es schließlich auch kein schönes Gefühl, abgelehnt zu werden und manche ziehen sich deswegen noch mehr zurück. Wer aber den ganzen Tag lang ein Kind getragen hat, das sich nicht ablegen ließ, fühlt sich am Abend oft „overtouched“ und hat schlicht keine Lust auf noch mehr Berührung. Obwohl es natürlich auch viele Paare gibt, die ganz ohne Sex glücklich sind, ist es doch nicht zu leugnen, dass ein erfülltes Sexleben sich sehr positiv auf die Beziehung auswirkt. Bei Paaren, die die Haushaltsaufgaben und die Care-Arbeit gleichberechtigt unter sich aufteilen, gibt es mehr Sex (wenn auch eher erst nach dem Wochenbett – aber schon im Wochenbett können die Grundlagen gelegt werden).
Die Zahlen der Paare, die sich nach dem ersten Kind trennen, sind traurigerweise sehr hoch. Ich bin davon überzeugt, dass sich viele der Probleme, die diese Paare haben, mit einem sehr ruhigen Wochenbett, einer geteilten Elternzeit und mehr Gleichberechtigung im Alltag in Luft auflösen werden. Was ein Kind vor allem braucht, sind glückliche, zufriedene Eltern.
Um die Beziehung des Vaters zum Kind zu fördern, müssen Mütter allerdings auch abgeben lernen (und auch das fällt leichter, wenn es von Anfang an geschieht). Ein Neugeborenes weckt ungeahnte Beschützerinstinkte in uns. Gerade beim zweiten Kind fiel es mir sehr schwer, meinen Mann einfach mal machen zu lassen. Ich hatte das Gefühl, am ersten Kind gelernt zu haben, wie Babys funktionieren, und nun wollte ich unbedingt alles richtig machen. Und mein Mann hätte von meiner Seite mehr Ermutigung gebraucht, statt ein „Komm, dann gib sie doch mir.“. Bis heute ist die Beziehung der beiden ein stetes Auf und Ab. Aber ein Kind braucht beide Eltern, oder zumindest unterschiedliche Menschen. Ich bin nicht der bessere Elternteil, nur weil ich das Baby geboren habe und mein Körper seine Nahrung produziert.
Sicher, Mütter können ihr Baby fast jedes Mal schneller beruhigen als die Väter. Stillen ist mehr als nur Nahrung, und wenig beruhigt ein Baby so zuverlässig wie die mütterliche Brust. Aber damit würden wir unseren Kindern eine wunderbare Beziehung zu ihren Vätern nehmen – und den Vätern die Möglichkeit, wieder einmal über sich hinaus zu wachsen, ihr Baby kennen zu lernen und ihre eigenen Strategien zu finden, um ihn zu beruhigen.
Kinder gehören nicht zur Mutter. Kinder gehören zu denjenigen, die sich liebevoll um sie kümmern können. Zu ihrer Familie.
Das Wochenbett dauert acht Wochen
Acht Wochen. Acht Wochen Babygeruch, Babyglucksen und Strampeln, tiefe wissende Blicke aus klaren Augen. Acht Wochen tragen, stillen, kuscheln, kitzeln. Großes Glück und große Angst. Schlafmangel und verspannte Schultern. Acht Wochen lang alle Zeit der Welt haben, nur um festzustellen, dass sie dann doch so schnell verfliegt.

Das Wochenbett dauert acht Wochen. Als mein letztes Wochenbett vorbei war, schaute ich etwas wehmütig zurück, sah die vielen Bilder an, die in der Zeit entstanden sind. Kurz fragte ich mich, ob ich die Zeit genug ausgekostet hatte. Dann schüttelte ich die Frage ab. Es gibt keinen Wettbewerb im „Baby genießen“. Sicher waren wir im Wochenbett nicht immer romantisch-verkuschelt, sondern manchmal auch schlafmangelbedingt gereizt. Es geht aber auch gar nicht um ständiges Friede-Freude-Eiersatzkuchen und auch wenn wir uns eine Auszeit vom Alltag genommen haben, so bedeutet das doch nicht, dass er uns nie eingeholt hätte.
In diesen acht Wochen habe ich vor allem gelernt, wie wichtig das Wochenbett ist. Für die Rückbildung – viele Frauen vergessen, dass sich nicht nur die Gebärmutter, sondern auch die Rektusdiastase zurückbilden muss. Fürs Stillen – ich musste es tatsächlich in den ersten drei Tagen noch einmal ganz neu lernen, was mich sehr überrascht hatte, und die Menge der Milch hat sich erst in den letzten zwei Wochen des Wochenbetts so richtig eingependelt. Für die Familienfindung – wir Eltern haben die Kinder zwischen uns immer wieder neu aufgeteilt, um uns an jegliche Kombination gewöhnen zu können. Für uns als Paar – so gleichberechtigt wie jetzt waren unsere Aufgaben noch nie verteilt. Wir brauchten diese Zeit, und dass es noch nicht selbstverständlich ist, einer Familie wenigstens diese acht Wochen zusammen zu gönnen, macht mich traurig.
Ich hoffe, dass ich mit meinem Text Menschen dazu inspirieren kann, nachzudenken. Umzudenken und mutig neue Wege zu gehen.
Ich wünsche mir, dass jede Familie den Weg finden kann, der für sie richtig ist.
Eure Anna <3
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